Die Absicherung des Erwerbsminderungsrisikos – Handlungsbedarf und Reformoptionen

Die Überschrift dieses Artikels ist identisch mit der Überschrift eines Artikels des Präsidenten der Deutschen Rentenversicherung, Herr Dr. Herbert Rische in „RV aktuell – Fachzeitschrift und amtliche Mitteilungen der Deutschen Rentenversicherung“.

Herr Dr. Herbert Rische äußert sich darin ausführlich zum Handlungsbedarf und den Reformoptionen in der Absicherung des Erwerbsminderungsrisikos. Nach einer Darstellung der (negativen) Entwicklung der Höhe der bewilligten Erwerbsminderungsrenten wird wie folgt ausgeführt:

Die Zahlen verdeutlichen, dass die Lebensstandardsicherung bei Eintritt der vollen Erwerbsminderung – ebenso wie bei der Altersrente – vor dem Hintergrund der Entwicklung des Rentenniveaus künftig im Regelfall nicht mehr allein durch die Leistungen der gesetzlichen RV gewährleistet werden kann, auch wenn die gesetzliche RV die stärkste Säule der Sicherung bei Alter und Erwerbsminderung bleiben wird. …

Obwohl das Sicherungsniveau bei der Erwerbsminderungsrente ebenso wie bei den Altersrenten sinkt, findet eine ergänzende Vorsorge in der zweiten (betrieblich) und dritten (privaten) Säule für den Fall der Erwerbsminderung bisher kaum statt.

Nach einer deutlichen Kritik in Richtung der privaten Versicherungswirtschaft, die passende bzw. bezahlbare Produkte kaum anbietet, geht Herr Dr. Rische auf mögliche Handlungsoptionen ein. Diese bestehen in Form

  • einer Vermeidung von Erwerbsminderung
  • einer Verbesserung der Arbeitsmarktsituation
  • einer Unterstützung privaten Erwerbsminderungsschutzes durch staatliche Zuschüsse, ähnlich der Förderung der privaten Altersvorsorge durch die Riester-Renten

Seine Hoffnung in die Umsetzung des letztgenannten Punktes schöpft der Präsident der Deutschen Rentenversicherung aus einem Punkt des Koalitionsvertrages zwischen CDU/CSU und der FDP vom 26.10.2009, wonach der Erwerbsminderungsschutz verbessert werden soll.

Innerhalb der Sozialgesetzgebung sieht Herr Dr. Rische Möglichkeiten der Verbesserung des Erwerbsminderungsrentenniveaus durch eine Verlängerung der Zurechnungszeit um zwei Jahre:

Sinnvoll erscheint außerdem, die Zurechnungszeit um zwei Jahre zu verlängern. … Durch die Verlängerung der Zurechnungszeit um zwei Jahre würde sich die Rente wegen voller EM bei einer Modellbetrachung durchschnittlich um etwa 47 € pro Monat erhöhen (42 € nach Rentenabschlag). … Nach bisherigen Schätzungen entstünden für die gesetzliche RV dadurch im Jahr 2030 zusätzliche Kosten von knapp einer Milliarde Euro. In den folgenden Jahrzehnten ist jedoch mit weiter steigenden Kosten zu rechnen.

Auch folgende Überlegung wird durch Herrn Dr. Rische eingebracht:

Überlegenswert wäre es jedoch, für Versicherte und Arbeitgeber die Möglichkeit zu schaffen, durch zusätzliche Beitragszahlungen die spätere Kürzung der EM-Rente durch die Abschläge auszugleichen oder aber auch z. B. tarifliche Zulagen, die für besondere Belastungen gezahlt werden, zum Aufbau von Rentenanwartschaften zu verwenden.

Keine dieser beiden Möglichkeiten erscheint realistisch.

Weder erlaubt es die finanzielle Situation der Rentenversicherung bedeutsame Schritte in Richtung einer Erhöhung der Rentenansprüche vorzunehmen, noch kann das Nettolohnniveau durch eine zusätzliche Beitragsbelastung weiter gesenkt werden. Zudem würde die Vereinnahmung tariflicher Zuschläge wegen besonderer Belastung als Zusatzbeitrag in der gesetzlichen Rentenversicherung eine Abkehr vom grundsätzlichen Solidaritätsprinzip darstellen. Es ist gerade Aufgabe der gesetzlichen Rentenversicherung ohne Gesundheitsprüfung und Risikoeinstufung jeden Versicherten gleich zu behandeln und gleich zu verbeitragen.

Es bleibt somit auch weiterhin jedem selbst überlassen, sich und seine Familie gegen die finanziellen Auswirkungen der Erwerbsminderung abzusichern. Zumindest bei dieser Überlegung muss sich die Deutsche Rentenversicherung nicht mehr vorwerfen lassen, sie habe nicht auf die Mängel ihrer eigenen Leistung hingewiesen.

Joachim Scholtz, Rentenberater