Erwerbsminderung – Über irre Entscheidungen und behördliche Absprachen

Niedergeschlagen erschien im Januar 2012 Andreas H. mit seiner Frau in unserer Kanzlei. Dem gelernten Altenpfleger war sein Antrag auf Erwerbsminderungsrente abgelehnt worden. Fit wie ein Turnschuh sei er, über 6 Stunden täglich einsatzfähig und noch nicht einmal teilweise erwerbsgemindert, so entschied die DRV. 

Nach eingehender Beratung kam ich zu dem Ergebnis, dass wir die Ablehnung der Erwerbsminderungsrente nicht anfechten sollten. Andreas H. hatte tatsächlich Anspruch auf ein weit höheres Arbeitslosengeld. Also wurde gegen die Ablehnung kein Widerspruch erhoben, sondern stattdessen Arbeitslosengeld beantragt. Kurze Zeit später kam auch der positive Arbeitslosengeldbescheid.

Nach weiteren Monaten, inzwischen ist es Mai 2012, erhält Andreas H. einen dicken Umschlag von der DRV:

Ihrem Antrag auf Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung wird entsprochen.

Plötzlich war Andreas H. nicht mehr fit wie ein Turnschuh und über 6 Stunden einsatzfähig, sondern voll erwerbsgemindert.

Eigentlich ein Glücksfall, um den in vielen Verfahren gestritten wird. Hier wollten wir jedoch aufgrund des höheren Arbeitslosengeldes keinen Rentenbescheid. Die DRV hatte ja bereits über den „alten“ Antrag negativ entschieden und diese Ablehnung war in Bindung erwachsen.

Wie ist die überraschende 180°-Wende der DRV zu erklären?

Das Arbeitsamt hatte bei der DRV interveniert: Warum sollen wir zahlen, der Mann ist doch fertig! (bzw. unausgesprochen: Warum sollen wir hohes Arbeitslosengeld zahlen, wenn ihr auch niedrige Rente bewilligen könnt?)

Die DRV ließ sich überzeugen, erteilte den nunmehr positiven Rentenbescheid und gleichzeitig erging vom Arbeitsamt der Bescheid, dass (aufgrund des Bezuges einer Rente wegen voller Erwerbsminderung) kein Arbeitslosengeldanspruch mehr bestünde.

Nun kann die DRV aber nicht nach Lust und Laune Rentenbescheide erteilen, wenn überhaupt kein Antrag hierzu vorliegt. Tatsächlich gab es zum Rentenbescheid vom Mai 2012 keinen wirksamen Antrag mehr. Alle Anträge waren mit dem Bescheid vom Januar 2012 bindend abgelehnt worden.

Seit über einem Jahr stehen wir nun mit der DRV und der Arbeitsagentur im Klageverfahren.

Warum ich denn der Meinung sei, dass mein Mandant nicht voll erwerbsgemindert ist, fragte mich der Richter. Natürlich ist mein Mandant voll erwerbsgemindert, entgegnete ich, dies ist aber nicht die Rechtsfrage, um die es hier geht, sondern einzig und allein die Frage, auf welchen rechtswirksamen Antrag hier der Rentenbescheid der DRV erging. Jetzt endlich stellte sich auch der Richter diese verwaltungsrechtliche Frage und reagierte mit einem entsprechenden richterlichen Schreiben an die DRV. Nun hoffe ich auf einen positiven (und zeitnahen) Ausgang der Klagen.

Erschreckend an diesem Verfahren ist jedoch weiterhin, wie der beratungsärztliche Dienst der DRV, ohne neue Befunde etc. und innerhalb eines kurzen Zeitraums, zwei völlig unterschiedliche Diagnosen (erst voll einsatzfähig, dann voll erwerbsgemindert) erteilen kann. Es ist sehr befremdlich, wenn offensichtlich nicht nach medizinischen Gründen, sondern den materiellen Auswirkungen entschieden wird.

Der oberflächlich geschilderte Sachverhalt ist in Wirklichkeit sehr kniffelig und mit zwei involvierten Behörden (DRV und Arbeitsagentur) verwaltungsrechtlich kompliziert. Handelte es sich bei den Bescheiden der DRV (sowohl ablehnend als auch bewilligend) um rechtswidrige nicht begünstigende oder um rechtswidrig begünstigende Verwaltungsakte? Ist die Rücknahme überhaupt, nur für die Zukunft oder auch rückwirkend möglich? Wie müssen die Anträge formuliert sein, damit in zwei separaten Klagen genau in der juristischen Sekunde, in der die Bewilligung der Rente aufgehoben wird, der Arbeitlosengeldanspruch rückwirkend wieder auflebt, damit der Mandant nicht plötzlich ohne Rente und ohne Arbeitslosengeld da steht?

Dies alles sind Fragen, mit denen wir uns für Sie gerne auseinandersetzen.