Prozessrechtliche Fallen im sozialgerichtlichen Streit um Erwerbsminderungsrente – hier § 109 Abs.2 SGG

Am 05.10.2005 beantragte Rainer W. bei der DRV die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente. Der 1961 geborene Industriekaufmann sah sich aus gesundheitlichen Gründen einer weiteren Beschäftigung nicht ge- wachsen. Mit Bescheid vom 13.12.2005 lehnte die Beklagte eine Rentengewährung ab, da der Kläger auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ohne zeitliche Einschränkung einsatzfähig sei.

Der Widerspruch gegen diesen Bescheid wurde von der DRV am 23.03.2006 zurückgewiesen. Es wurde Klage erhoben. Zahlreiche medizinische Gutachten wurden vom Gericht eingeholt und auch die DRV legte gutachterliche Stellungnahmen ihres beratungsärztlichen Dienstes vor.

Mit Urteil vom 16.06.2008 wurde die Klage durch das Sozialgericht abgewiesen. Aus den sozialmedizinischen Darlegungen der Dr. H. ergebe sich, dass der Kläger auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch ohne zeitliche Einschränkung an geeigneten Arbeitsplätzen einsatzfähig sei. Die gegenläufige Auffassung des Dr.E. sei für das Gericht nicht maßgeblich gewesen, da sie noch vor der abschließenden Untersuchung mit der Fahrradstressechokardiographie und der Spiroergometrie durchgeführt worden sei.

Die Sache ging in Berufung.

Erneut wurden, jetzt vom Landessozialgericht, medizinische Gutachten eingeholt und der beratungsärztliche Dienst der DRV befragt. Das Landessozialgericht sah daraufhin den Sachverhalt als ausermittelt an und lud mit einem Vorlauf von zwei Monaten zur mündlichen Verhandlung am 30.01.2012.

Kurz vor der Verhandlung und im Termin vor Gericht wurde sodann vom Kläger der Antrag gestellt, einen bestimmten Arzt gutachterlich zu hören.

Dieser Antrag und die Berufung des Rainer W. insgesamt wurden vom Landessozialgericht zurückgewiesen. Nach über 6 Jahren war dieser Fall, eventuell wegen eines prozessrechtlichen Fehlers, negativ beendet worden.

Was war passiert?

Im sozialgerichtlichen Verfahren gelten die Vorschriften des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Danach hat das Gericht „den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen“ (Untersuchungsmaxime § 103 SGG) und bei einem Streit um eine Erwerbsminderungsrente z.B. Krankenpapiere, Gutachten etc. einzuholen (§ 106 SGG).

Gleichzeitig hat jedoch auch der Kläger das Recht, den Antrag auf Anhörung eines bestimmten Arztes zu stellen. Im „Juristendeutsch“ wird hier vom 109er-Gutachten gesprochen, da die entsprechende Rechtsnorm der § 109 SGG ist. Diesen Gutachten kann oftmals die Wende in einem Klageverfahren um eine Erwerbsminderungsrente bringen.

Im Fall des Rainer W. wurde der Antrag auf dieses, eventuell prozessentscheidende Gutachten, jedoch zu spät gestellt. Das Landessozialgericht begründete seine Entscheidung u.a. mit der Vorschrift des § 109 Abs.2 SGG:

Das Gericht kann einen Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist.

(vgl. in den Entscheidungsgründen Bay.LSG vom 30.01.2012 – L 20 R 590/08 -)

Obgleich das Sozialgerichtsgesetz wesentlich „lockerer“ gestaltet ist, als z.B. die Zivilprozessordnung (ZPO), wird auch in Sozialrechtsstreitigkeiten eine auf diese Verfahren spezialisierte Vertretung empfohlen. Ansonsten kann es Ihnen auch nach über 6-jährigem Streit so gehen wie Rainer W.- viel gespart, aber nichts gewonnen.

Joachim Scholtz
Rentenberater