Generation Praktikum – versicherungsfrei?

Die „Generation Praktikum“ wurde mit dieser Begriffsschöpfung am 31.03.2005 von Matthias Stolz in einem Artikel „Der Zeit“ geboren. Die Aktualität ist ungebrochen. Viele verbinden mit dem Begriff „Praktikum“ nicht nur eine betriebliche Ausbildung, ggf. auch schlecht bezahlte Arbeit, sondern auch eine Versicherungsfreiheit in der Rentenversicherung.

Ob dies zutrifft, beleuchtet der vorliegende Artikel.

Der Begriff Praktikum bezeichnet eine auf eine bestimmte Dauer ausgelegte Vertiefung erworbener oder zu erwerbender Kenntnisse in praktischer Anwendung bzw. das Erlernen neuer Kenntnisse und Fähigkeiten durch praktische Mitarbeit in einer Organisation, in einem Arbeitsprozess oder einer Institution.

Ausgangsvorschrift zur Prüfung einer Versicherungspflicht von Beschäftigten ist der § 1 SGB VI. Dort wird unter Nr.1 folgendes geregelt:

Versicherungspflichtig sind Personen, die gegen Arbeitsentgelt oder zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt sind …

Eine sozialversicherungsrechtliche Beschäftigung liegt auch dann vor, wenn diese dem „Erwerb beruflicher Kenntnisse, Fertigkeiten oder Erfahrungen im Rahmen betrieblicher Berufsausbildung“ dient (§ 7 Abs.2 SGB IV).

Damit ist festzustellen, dass bei Zahlung eines Entgeltes grundsätzlich Versicherungspflicht eintritt. Wie die geldwerte Zuwendung an den Praktikanten bezeichnet wird, ist hierbei unerheblich, da der Begriff des Arbeitsentgeltes im Sozialrecht durch § 14 SGB IV sehr weit gefasst ist:

Arbeitsentgelt sind alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden.

Ebenso ist festzustellen, dass unabhängig von einer Entgeltzahlung, für Personen in ihrer Berufsausbildung immer Versicherungspflicht vorliegt.

Nach der positiven Prüfung dieser grundsätzlichen Versicherungspflicht gilt es nun zu prüfen, ob aufgrund bestimmter Umstände oder Normen Versicherungsfreiheit eintreten kann. Die Vorschrift des § 5 SGB VI beschäftigt sich mit der Versicherungsfreiheit bestimmter Personengruppen und Sachverhalte. Unter Abs. 3 findet sich die ggf. anzuwendende Vorschrift:

Versicherungsfrei sind Personen, die während der Dauer eines Studiums als ordentliche Studierende einer Fachschule oder Hochschule ein Praktikum ableisten, das in ihrer Studienordnung oder Prüfungsordnung vorgeschrieben ist.

Dass sozialversicherungsrechtlich relevante Praktikum ist somit sehr begrenzt und bezieht sich nur auf

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  • ordentlich Studierende (Immatrikulation)
  • einer Fach- oder Hochschule
  • ein in der Studien-/Prüfungsordnung vorgeschriebenes Praktikum

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Dieses Studium muss auch tatsächlich Zeit und Arbeitskraft des Studierenden überwiegend in Anspruch nehmen. Die Vorschrift des § 5 Abs.3 SGB VI stellt somit klar, dass Studenten, die ein in der Prüfungsordnung vorgeschriebenes Praktikum ableisten, in dieser Beschäftigung versicherungsfrei sind, weil es sich in diesen Fällen nicht um eine betriebliche Ausbildung (vgl. § 1 Nr.1 SGB VI) handelt.

Zahlreiche Besonderheiten bei Vor-, Zwischen-, Abschlußpraktika, Promotions-, Ergänzungs- und Zweitstudium sowie der Wiederholungsprüfung zur ersten juristischen Staatsprüfung werden in einem 91-seitigen Rundschreiben der Sozialversicherungsträger vom 27.07.2004 behandelt.

Insbesondere ist zu beachten, dass die Regelungen in den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung (Kranken-, Pflege-, Arbeitslosen- und Rentenversicherung) nicht einheitlich sind.

Im Zweig der Rentenversicherung führt die Beschäftigung eines „ordentlichen Praktikanten“ im Sinne § 5 Abs.3 SGB VI zur Versicherungsfreiheit. Unabhängig vom Entgelt sind Rentenversicherungsbeiträge nicht zu leisten. Ebenso verhält es sich bei einem nicht vorgeschriebenen (Zwischen-)Praktikum eines Studenten, sofern die Geringfügigkeitsgrenzen (§8 SGB IV) nicht überschritten werden.  Es handelt sich dann jedoch nicht um ein versicherungsfreies Praktikum (§ 5 Abs.3 SGB VI) sondern um eine geringfügige Beschäftigung, bei der jedoch aufgrund der Sondervorschrift des § 172 Abs.3 S.2 SGB VI auch kein Pauschalbeitrag zur Rentenversicherung vom Arbeitgeber abzuführen ist.

Alle anderen Praktika unterliegen in aller Regel einer „normalen“ Beurteilung als versicherungspflichtige Beschäftigung. In diesen Fällen kann Versicherungsfreiheit in der Rentenversicherung nur aufgrund der Geringfügigkeit (400.-€- Grenze bzw. zeitliche Befristung) der Beschäftigung entstehen, wobei dem Arbeitgeber jedoch die Pflicht zur Abfuhr von Pauschalbeiträgen obliegt.

Zusammenfassend ist grundsätzlich festzustellen:

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  • nur die vorgeschriebenen Praktika (in der Regel Zwischenpraktika) eines ordentlichen Studenten sind durch die Regelung der Versicherungsfreiheit in der Rentenversicherung erfasst
  • nicht vorgeschriebene Praktika eines ordentlichen Studenten können als Sonderform der geringfügigen Beschäftigung zur Beitragsfreiheit (ohne Pauschalbeiträge) führen
  • alle übrigen Praktika sind als normale ggf. geringfügige Beschäftigung zu beurteilen

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Praktikums- bzw. Arbeitgeber haften für die Sozialversicherungsbeiträge, so dass für den Fall einer Betriebsprüfung verschieden Unterlagen (Immatrikulationsbescheinigung, Prüfungs-/Studienordnung, Erklärung über das Vorliegen ggf. weitere Beschäftigungen) in die Personalakte aufgenommen werden sollten.

Joachim Scholtz
Rentenberater